Dass jeder Pferdebesitzer die Haltungsform, welche er für sein Pferd gewählt hat, für die sinnvollste Lösung hält, ist verständlich. Doch die Entscheidung über die Unterbringung der Pferde wird dabei nicht nur aus Sicht der Pferde getroffen. Neben den lokalen Möglichkeiten spielt die unterschiedliche Nutzung durch den Menschen eine entscheidende Rolle. Das gilt für die ambitionierte Turnierreiterin genauso, wie für den engagierten Naturschützer.
Während die Reiterin besorgt ist, dass ihr wertvolles Tier durch den Tritt eines anderen Pferdes verletzt wird und es daher über Nacht in eine Box stellt, liegt das Interesse von Naturschützern darin, durch die Pferde die Vegetation im Zaum zu halten, damit sich andere Tiere wie Kreuzkröten oder Neuntöter in einem Schutzgebiet ansiedeln können.
Doch so unterschiedlich die Haltungsformen auch sind, alle haben den gleichen Ursprung: Der Mensch hält Pferde nicht ohne Grund. So vielfältig, wie die örtlichen Gegebenheiten und Motivationen der Menschen sind, so facettenreich sind heute auch die Haltungsformen von Pferden.
BOXENHALTUNG MIT WEIDEGANG
Reine Boxenhaltung, egal wie groß und gepflegt die Box ist, ist Tierquälerei. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Hengste in Gitterboxen, Hunde in Zwingern, Meerschweinchen in Käfigen oder Hühnern auf Geflügelfarmen handelt.
Aber wie ist es zu bewerten, wenn Pferde nur über Nacht in der Box stehen und tagsüber Auslauf in einem Paddock oder Weidegang haben und dazu noch regelmäßig durch den Reiter bewegt werden?
Stehen Wildpferde nicht auch nachts dicht nebeneinander und schlafen?
Ja, das ist richtig! Und nicht nur das. Wild lebende Pferde wechseln zur Nachtruhe häufig ihren Standort. Das heißt, sie verlassen das Gebiet, in dem sie tagsüber gefressen haben und begeben sich an einen anderen für sie sicheren Ort, um sich ohne Stress hinlegen zu können. Das machen viele andere Tierarten genauso.
Eine logische Erklärung dafür haben Primatenforscher: Danach wechseln Affen zu einem gesonderten Schlafplatz, da auf dem Fressplatz die Duftstoffe ihrer Ausscheidungen der letzten Stunden Fressfeinde anlocken könnten. Diesen Grund vermute ich bei Wildpferden genauso.
Darüber hinaus suchen Wildpferde sich aber auch geografisch sichere Ruheplätze. Das sind je nach Lebensraum Hochebenen mit guter Fernsicht oder Verstecke zwischen Felsen genauso wie dichte Wälder.
Holen wir Pferde also gegen Abend von einer Weide in einen sauberen Stall, ist das durchaus eine Parallele zur Natur.
Und unter dem Gesichtspunkt der stärkeren Verbreitung von Wölfen, ist es auch die einzige Maßnahme, die den Schutz unserer Hauspferde vor dem Raubtier garantiert.
Meine Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Wolfszäune, wie sie in Deutschland zurzeit verwendet werden, langfristig keinen Schutz vor dem Wolf darstellen. Wenn sie Wölfe momentan von Nutztieren abhalten, dann nur, weil die Wölfe den Mehraufwand scheuen, da noch genug leichtere Beute in der Nähe vorhanden ist.
Aber zurück zur Boxenhaltung.
Ist doch alles gut, wenn die Wildpferde es auch so machen, oder? Wo ist denn nun das Problem bei der in Deutschland immer noch meist verbreitetsten Haltungsform von Pferden?
In der Nacht finden sehr viele soziale Interaktionen statt – etwas was in der Box nicht wirklich möglich ist.
WILDE PFERDE HABEN NOCH MEHR ANFORDERUNGEN
Wildpferde ziehen nur selten weite Strecken am Stück. Meist bewegen sie sich gemächlich auf übersichtlichen, breiten Wegen.
DER BEWEGUNGSSTALL
Wildpferde wandern bis zu 50 Kilometer am Tag, oder?
Ja, das kann vorkommen! Ist aber nicht die Regel. Nur wenn sie dazu gezwungen sind, wie in Gebieten mit sehr karger Vegetation oder wenn wilde Herden vor Raubtieren flüchten, legen Pferde so weite Strecken zurück. Zu meinem Glück liegen in den meisten Lebensräumen die Tagesstrecken der Wildpferde eher bei 10 bis 15 Kilometern. Aber Pferde sind keine Mathematiker oder Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes. Nicht die Anzahl der Kilometer ist ihnen wichtig, sondern die Tatsache sich ständig frei bewegen zu können.
Für Wildpferde ist die Einschränkung ihrer Mobilität durch Barrieren, wie enge Schluchten, undurchdringliche Dornenbüsche oder reißende Flüsse das beunruhigendere Problem, das sie entweder meiden oder schnell durchlaufen.
In der Hauspferdehaltung kennen wir ähnliche Begrenzungen in Form von Zäunen, schmalen Durchlässen oder engen Gängen. Klar, wir brauchen in der Zivilisation Zäune, denn hier lauern überall unnatürliche Gefahren und es ist wenig Platz. Und selbst bei wild lebenden Pferden gehört die Zivilisation, mit der sie in Berührung kommen, zu den häufigsten Todesursachen. Viele Wildies sterben durch Verkehrsunfälle. Und auch Zäune stellen Verletzungsquellen für Wildpferde dar. Schlecht sichtbare Zäune oder herumhängende Drähte werden für viele Wildtiere zur tödlichen Falle.
Zaunreste stellen auch in der Natur für Pferde eine Gefahr dar. Gerade junge Pferde tappen oft in diese Fallen.
VORSICHT VOR ENGEN GÄNGEN
In der Gruppenhaltung von Pferden ist in den letzten Jahren ein gut gemeinter Trend entstanden, der neue Gefahren mit sich bringt. Durch das Anlegen von Wegen, die mit Zäunen begrenzt werden, sollen Pferde zu mehr Bewegung animiert werden. Grundsätzlich ist das eine gute Idee.
ABER – und das ist ein wichtiges Aber: Sind die Wege zu eng, der Untergrund matschig, die Sicht für die Pferde eingeschränkt oder die Pferde in einer Gruppe passen nicht zusammen, lösen diese Wege, ähnlich wie die Engpässe in der Natur, Stress bei Pferden aus.
Wenn sie diese engen Stellen ständig passieren müssen, um zu Wasserstellen, Schlafstellen oder Fressplätzen zu gelangen, entsteht Dauerstress, der zeitverzögert zu chronischen Erkrankungen führen kann. Auch kann man beobachten, dass Pferde an Futterstellen auf Heu oder Zusatzfutter warten und Pferde, die nicht in die Gruppe passen, immer wieder verjagt werden. Den Ansatz, den natürlichen Lebensraum von Pferden nachzubilden, wenn auch durch den allgemein herrschenden Platzmangel komprimiert, finde ich eine gute Herangehensweise. Ich selbst mache es genauso. Doch sollten dadurch nicht andere gravierende Probleme entstehen.
Um das zu vermeiden, hilft auf jeden Fall ein umfangreiches Wissen über das Verhalten von wilden Pferden in unterschiedlichen Lebensräumen. Dazu kannst du zum Beispiel diese Blogartikel weiter lesen: Lebensraum Wald oder Peneda Nationalpark. In der Masterclass nehmen wir das Thema natürlich noch tiefer in Angriff.
Ein Holzzaun kombiniert mit einer Hecke aus Rotbuchen. Rotbuchen halten im Winter ihr Laub fest und bieten nicht nur Pferden Schutz, sondern auch vielen Kleintieren und Vögeln.
DIE WEIDEHALTUNG
Auch, dass Pferde Steppentiere sind, ist ein immer noch weit verbreiteter großer Irrtum. Es gibt zwar Pferde, die in weiten trockenen Graslandschaften leben, aber genauso, wie beim Zebra oder beim Nashorn, die beide Verwandte der Pferde sind, leben viele Wildpferde auch in halb offenen Buschlandschaften, Gebirgen oder in Wäldern. Gerade die nordischen Rassen sind Pferde, die sich in gemäßigten und feuchten Waldregionen sehr wohlfühlen. Und selbst, wenn wir uns Graslandschaften in der Natur ansehen, fällt sofort auf, dass sie sich erheblich von unseren landwirtschaftlich genutzten Grünland unterscheiden.
Für ein Pferd ist der Zugang zu einer für die Milchviehhaltung ausgelegten Weide, vergleichbar mit einem „All you can eat Ticket“ für Mc Donalds – im schlimmsten Fall auch noch nach stundenlangem Fasten. Und genauso wie Fastfood, liefern viele Grassorten zwar schnell verfügbare Energie, führen aber zu einer einseitigen Überernährung. Pferde brauchen dagegen bunte Wiesen und ständigen Zugang zu Pflanzen, die gröber sind als die üblichen Gräser.
Eigentlich ein sehr einfach zu lösendes Problem.
Die Ansaat der Weide und die Düngung auf die Bedürfnisse der Pferde anzupassen, ist der erste Schritt und eigentlich überall ohne Einschränkungen möglich. Sträucher und Bäume auf Grünland zu pflanzen ist schon schwieriger, aber dennoch lösbar. Allerdings braucht es viele Jahre, bis die Pflanzen so groß sind, dass sie Nahrung für die Pferde abwerfen. Direkt auf den Flächen gepflanzt, machen sie außerdem die Pflege der Böden schwieriger. Dazu kommt leider noch, dass durch gesetzliche Regelungen Veränderungen von Weideflächen in einen naturnahen Lebensraum für Pferde erschwert werden.
Dennoch: Den Aufwand sollten uns unsere Pferde und ihre Gesundheit wert sein.
Gerade im Winter stehen bei Pferden Sträucher und Bäume auf dem Speiseplan. Sogar die von Reitern gefürchteten Eichen lieben Pferde und fressen bevorzugt Blattwerk und Zweige.
Genauso fressen auch Hauspferde, wenn sie können, zwischendurch gern etwas anderes als Gras. Sogar im Frühling, wenn das leckere Grün sprießt.
Nichts steht in der Natur für sich allein. Die Vielfalt der Vegetation auf unseren Weiden bedeutet für unsere Pferde eine gesunde Ernährung und für andere Wildtiere eine Lebensgrundlage. So können wir die Gemeinschaft zusätzlich bereichern.
Marc Lubetzki
WILDE WEIDEN
Mit dem Begriff „wilde Weiden“ werden Naturschutzprojekte, in denen Pferde und Rinder zur Beweidung eingesetzt werden, bezeichnet. Dabei handelt es sich meist um halb offene oder freie Flächen, auf denen die Tiere ungestört und natürlich leben sollen.
Allerdings soll sich die Natur hier so entwickeln, wie der Mensch es wünscht. Denn anders als in Nationalparks, in denen die Natur wirklich sich selbst überlassen wird, sind Naturschutzgebiete, Bereiche, in denen Menschen versuchen einen natürlichen Lebensraum nachzugestalten.
Geltinger Birk – ein neuer Lebensraum wird geschaffen, indem das Naturschutzgebiet Schritt für Schritt umgestaltet wird. Die wilden Koniks helfen mit. Dabei ist die Betreuung der Pferde in diesem NSG, die beste die ich kenne.
Dadurch, dass Naturschutzgebiete in Deutschland, da nicht wie landwirtschaftliche Nutzflächen entwässert oder kultiviert werden, meist feuchter sind, ist dort ein üppiger und vielfältiger Bewuchs anzutreffen. Damit dieser nicht überhand nimmt und sich bestimmte Pflanzen vermehrt ausbreiten, werden oft Urpferderassen wie Przewalski-Pferde, Exmoor-Ponys oder Koniks in Gruppen eingesetzt. Das hört sich erst einmal gut und pferdegerecht an. Bis man darüber stolpert, dass Naturschutzgebiete in Deutschland immer begrenzte Gebiete sind, die einfach ein gewisses Maß an Management benötigen.
In vielen Gebieten leben wilde Pferde noch sehr natürlich – auch wenn sie zeitweise vom Menschen kontrolliert werden.
Wir finden vielerorts gemischte Herden, in denen auch Hengste leben. Die Tiere vermehren sich entsprechend, was dazu führt, dass die Bestände eines Gebietes reduziert werden müssen. Keine einfache Aufgabe. Denn schließlich müssen Pferde, die den Kontakt zu Menschen nicht gewohnt sind, eingefangen werden und der Mensch muss entscheiden, welche Tiere aussortiert werden können, ohne die Dynamik der Herden zu stören. In der Natur ist das die Aufgabe des Althengstes. Er kennt seine Gruppe sehr genau und ist bei der Zusammenstellung sehr konsequent. Wird also die Anzahl der Pferde in einem Naturschutzprojekt willkürlich reduziert, kann das gesamte Sozialgefüge aus dem Gleichgewicht geraten, was zu Kämpfen und ernsthaften Verletzungen führen kann.
Soviel Natürlichkeit wie möglich auch in der Obhut des Menschen beizubehalten ist wichtig. Ideal wenn alle Geschlechter und Alterstufen zusammenleben können.
Nun kommt häufig die Frage auf, ob es denn nicht einfacher wäre, die Vermehrung in solchen Gebieten zu steuern? Bitte nicht. Eingriffe in den Hormonhaushalt der Pferde oder das Trennen von Hengsten und Stuten würden neue und größere Probleme verursachen.
So sorgt in der Natur zum Beispiel die Biodiversität für Energie-zehrende Bewegung. Die Mischung der Geschlechter und der verschiedenen Altersstufen sorgt dafür, dass die Pferde aktiver sind. Das Decken und Zusammenhalten der Herde, hält die Hengste auf Trab. Stuten kompensieren üppiges Futter im Frühjahr mit der kräftezehrenden Aufzucht ihrer Fohlen.
Nachwuchs durch die Trennung von Hengsten und Stuten zu unterbinden, funktioniert nur in Gebieten mit entsprechend kargen und nährstoffarmen Bewuchs. Blogartikel Hufrehe
Aus dem Naturschutzgebiet Gelinger Birk kommen jedes Jahr Stuten zum Schäferhaus. Dort können sie sich an Menschen gewöhnen und die Stuten können später, ohne dass sie tragend sind, abgegeben werden.
Was ist also bei dieser Haltungsform zu bedenken: Zunächst einmal sind nicht alle Gebiete für die naturnahe Beweidung mit Pferden geeignet. Außerdem muss für die Anzahl der Tiere eine Obergrenze festgelegt werden, damit die Gesundheit der Pferde gesichert ist. Leider gibt es immer wieder Negativbeispiele für ein mangelhaftes Management.
Dabei ist nicht nur das Nahrungsangebot zu berücksichtigen, sondern auch die Belastung durch Pferdekot. Da diese Gebiete nicht von den Hinterlassenschaften der Pferde befreit werden, sollten mindestens 10 Hektar pro Pferd zur Verfügung stehen. Sehr großzügig leben die halb wilden Ponys im Exmoor und im Dartmoor in England. Dort beträgt die Besatzdichte ungefähr 1 Pony pro 50 Hektar und kommt den Verhältnissen in unberührten Wildgebieten sehr nah.
Am Beispiel des Exmoors Nationalparks sieht man, die vielfältige Nahrung, wenn das Verhältnis zwischen Platz und Anzahl der Pferde im natürlichen Gleichgewicht ist.
KEINE KOMPROMISSE
Ich wurde vor Kurzem in einem Interview gefragt, wie ich, wenn ich Pferd wäre, am liebsten leben würde. Und obwohl ich bei meinen eigenen Pferden die Haltung in den letzten 25 Jahren immer wieder optimiert habe, würde ich ohne zu zögern die absolute Freiheit wählen.
Es ist einfach der Ort, an dem sich nicht nur Pferde, sondern mittlerweile auch ich, am wohlsten fühlen. Klar, gibt es dort nicht nur Sonnenschein. Nässe und Kälte im Winter, die Suche nach Nahrung oder die tägliche Bedrohung durch Raubtiere sind kein Zuckerschlecken für die Tiere. Nachdem ich nun aber viele Jahre dort draußen mit Pferden verbracht habe, muss ich sagen: Es passt dort einfach am besten!