Ich weiß das jetzt der Einwand kommt, dass es sogar dokumentierte Fälle von Hufrehe bei Przewalski-Pferden gibt. Aber können wir ernsthaft Przewalski-Pferde, die aus einem kleinen trockenen Paddock eines Tierparks in ein riesiges Feuchtgebiet mit üppigen Gras umgesiedelt wurden, zur Erforschung von Hufrehe heranziehen? Ja, wir können nämlich mit Gewissheit sagen, dass kein Pferd der Welt eine solche plötzliche Umstellung überlebt. Da jeder Pferdebesitzer das weiß, werden Hauspferde im Frühjahr so schonend wie möglich angeweidet.
IST LANGSAMES ANWEIDEN DIE LÖSUNG?
Da ich selbst ein Pferd besitze, das schon, als wir es vierjährig vor 30 Jahren kauften, eine massive Hufreheproblematik mitbrachte, habe auch ich mir die Frage des Anweidens jedes Frühjahr erneut gestellt. Und Jahre lang habe ich genau dieselben Maßnahmen ergriffen, von denen mir viele Pferdebesitzer immer wieder berichten: Weidegang nur Minutenweise steigern oder einen mobilen Elektrozaum täglich etwas Versetzen, Vorsicht bei sonnigem aber kaltem Wetter, nicht vor Mittag auf die Weide und so weiter.
Natürlich hat es meinem Pferd geholfen. Doch spaßig war es weder fürs Pferd noch für mich. Und seien wir ehrlich: wir behandeln so nur die Symptome und nicht die Ursache.
MITTLERWEILE BIN ICH ETWAS SCHLAUER
Im Zuge der Forschung für Expedition Pferd habe ich bereits 2012 die ersten Beobachtungen bezüglich des natürlichen Fressverhaltens von wild lebenden Pferden und den Besonderheiten ihrer Lebensräume angestellt. Mittlerweile bin ich seit 8 Jahren in unterschiedlichen Wildpferde-Populationen unterwegs und habe in keinem Gebiet, zu keiner Jahreszeit Pferde mit Futter bedingter Hufrehe angetroffen. Und dabei sind die Lebensräume sehr unterschiedlich.
Selbstverständlich sind die Unterschiede der Lebensräume in den Hufen der Pferde sichtbar. Das liegt an der Bodenbeschaffenheit und dem Laufverhalten der Tiere. Denn anders, als vielfach behauptet, wandern Wildpferde nicht täglich 30 bis 50 Kilometer. Haben sie keine Veranlassung ihren Standort zu wechseln, legen sie pro Tag nur 10 bis 15 Kilometer zurück.
Leben sie dazu noch in einem Gebiet mit weichem Untergrund, werden ihre Hufe länger und brechen aus. Hufe von Pferden in Gebieten mit steinigen Böden sehen dagegen aus Sicht der Menschen ordentlicher aus.
Die Hufe von Pferden in feuchten Lebensräumen mit weichem Untergrund
in ursprünglicher Lebensraum – üppige Feuchtwiesen im NSG Geltinger Birk
WIE SEHEN GEEIGNETE WEIDEN AUS
Die Futterflächen der Wildpferde haben wenig mit typischen Pferdekoppeln zu tun. Vielfalt ist überall vertreten. Egal ob ich es sich um weitläufige Flächen handelt, um Feuchtgebiete oder Waldgebiete. Überall ist die Pflanzenvielfalt unübersehbar.
Lebensraum Gebirge mit unterschiedlich hohem Bewuchs, den die Pferde zu jeder Zeit als Futter nutzen.
Genauso Vielfältig wie die vorkommenden Pflanzen ist auch die Wahl des Futters. Wir müssen uns einfach von dem Gedanken verabschieden, das Pferde nur auf Gras stehen. Sie lieben genau wie wir ein reichhaltiges Buffet und brauchen es um sich gesund ernähren zu können.
Zwei weitere wichtige Aspekte für die natürliche Pferdeernährung werden erst sichtbar, wenn man sich länger bei wild lebenden Pferden aufhält. Sowohl der natürliche Tagesrhythmus als auch der Jahresrhythmus sind entscheidend für das Fressverhalten von Pferden. Die beiden Rhythmen einhalten zu können, schützt die Wildies selbst in nährstoffreichen Weidegebieten vor Problemen.
Wildpferde sind das gesamte Jahr auf ihren Weidegründen und bekommen so die verschieden Vegetationsperioden der Pflanzen mit ihren langsam wechselnden Mengen an Inhaltsstoffen mit. Das ist sehr wichtig, denn dadurch kann sich der Pferdeorganismus allmählich an diese Veränderungen anpassen ohne überfordert zu werden. Und nicht nur das. Die Pferde zeigen in jeder Jahreszeit ein angepasstes Fressverhalten in Bezug auf Wahl und Menge der Futterpflanzen.
Frühjahr bei wilden Pferden. Das Gras sprießt, aber die Pferde müssen es zwischen anderen noch trockenen Pflanzen suchen.
Immer wieder wechseln die Wildies von Gras zu Büschen oder Bäumen. Abwechselung ist ein Faktor, der sie gesund hält.
Diese Anpassung geschieht nicht nur über das Jahr gesehen. Betrachte ich den Tagesrhythmus meiner Pferde, die aufgrund unserer Anpassung auf unseren Weideflächen mittlerweile das ganze Jahr und auch im Winter tagsüber auf Weide sind, dann ähnelt deren Tagesrhythmus immer mehr dem meiner wilden Pferde.
Wir haben etwas Zeit gebraucht, um eine Naturweide nachzubilden. Doch so können wir unsere Pferde das gesamte Jahr auf Weide lassen, wodurch sie ihren eigenen Fressrhythmus gefunden haben. Selbst unser “Rehepferd” verträgt diese Weidehaltung.
Mit einem bestimmten Wechsel zwischen Fress- und Ruhephasen passen sie die Futteraufnahme auf die Inhaltsmengen bestimmter Nährstoffe in ihrem Futter an. Ich habe diesen Fress-Ruherhythmus einmal mit Messung des Fruktangehalts im Gras verglichen: In den Zeiten, in denen sich dieser Gehalt stark erhöht begeben sich die Wildpferde in ihre erste Ruhephase! Das ist bestimmt kein Zufall.
IST EUROPA GEEIGNET FÜR NATÜRLICHE PFERDEFÜTTERUNG
Ein beliebtes Argument gegen die natürliche Pferdefütterung sind zu kleine Weideflächen. In der Tat sind viele Flächen auf denen Pferde gehalten werden nicht groß genug, damit sie sich selbstständig das ganze Jahr über ernähren könnten. Doch das verlangt ja auch niemand. Auch wir müssen hier „tricksen“ und die Futtermenge unserer Pferde – je nach Jahreszeit – mit Heu von Öko-Wiesen, Baumschnitten oder anderem Zusatzfutter aufstocken.
Doch zum Wohle unserer Pferde sollten wir uns Schritt für Schritt von dem meist gebräuchlichen Vorgehen in der Weidehaltung verabschieden und das Probleme lieber an der Wurzel packen. Eine Umstrukturierung ist nicht über Nacht möglich – das ist klar. Doch nur, wenn wir unsere Pferdeweiden von Rasenflächen in ein vielfältiges Ökosystem mit Gräsern, Kräutern, Moosen, Büschen, Sträuchern und Bäumen umwandeln, können unsere Hauspferde wirklich artgerecht leben. Und ganz nebenbei schaffen wir damit für viele andere Kleintiere wichtige Rückzugsmöglichkeiten.
Sehen wir in der Natur größere Grasflächen, bestehen sie aus kargem Grasbewuchs aus Urgräsern gemischt mit anderer Pflanzen wie Kräuter oder Halbsträucher.