WALD IST NICHT GLEICH WALD
Die natürliche Landschaft hat sich in Mitteleuropa in den letzten 500 Jahren extrem verändert. Im ersten Moment mag uns dieser Zeitraum sehr lang vorkommen, aber für die Entwicklungsgeschichte der wilden Pferde ist es nur ein Wimpernschlag. In dieser Zeit mussten über Jahrtausende gewachsenen Urwälder der Kultivierung durch die Landwirtschaft weichen. Zwar finden wir auch heute noch zahlreiche Wälder, aber dabei handelt es sich zum größten Teil um Wirtschaftswälder. Die großen Laubwälder wurden abgeholzt und wenn wieder aufgeforstet wurde, dann überwiegend durch Monokulturen aus Nadelholz. Für die Wildbestände war das eine große Katastrophe.
Futtersuche im Wald.
Der Wald als Nahrungsquelle
Der größte Unterschied zwischen einem ursprünglichen Wald und einem Wirtschaftsforst ist der Reichtum der Tier -und Pflanzenwelt. Die meisten von uns kennen das Bild von einem grasenden Pferd. Hauspferde knabbern auch gerne an Holzzäunen oder Stalltüren, worüber sich viele Stallbesitzer ärgern. Es liegt daher wohl auf der Hand, dass auch wilde Pferde in den Wald gehen um dort Holz zu fressen. Aber der Wald bietet noch viel mehr Nahrung für Pferde. Sehr oft konnte ich schon beobachten, wie wilde Pferde gezielt durch Wälder streifen, um ganz bestimmte Moose zu fressen. Vor allem Jährlinge, aber auch kränklich wirkende Tiere suchen in aller Ruhe den Waldboden über Tage nach bestimmten Pflanzen ab. Instinktiv wissen sie, welche ihnen guttun.
Selbst Jährlinge wissen wo sie besondere Pflanzen finden.
Leider können wir einen natürlich gewachsenen Urwald nicht einfach mal so kurz für unsere Hauspferde neu anlegen. Schade, denn leider finden wir in einem aufgeforsteten Wald im Vergleich zu einem Urwald nur noch 1 Prozent des Vorkommens von Flechten und Moosen.
SIND PFERDE NICHT EIGENTLICH STEPPENTIERE?
Ja und Nein. Wir können die Urpferde ist mehrere Kategorien einteilen. So gibt es natürlich das von den meisten Wissenschaftlern aufgrund der Genetik als einziges Wildpferd angesehene Przewalski-Pferd (Equus ferus przewalskii), von dem heute nur noch einige wenige, in Folge von Auswilderungsprogrammen in der Mongolei, in ihrem ursprünglichen Lebensraum leben. Dabei handelt es sich tatsächlich um ein Tier, welches optimal an das Leben in einer wüstenähnlichen Steppe angepasst ist.
Der bereits 1909 ausgestorbene Tarpan (Equus ferus ferus) galt dagegen als Waldbewohner und wir können davon ausgehen, dass in den heutigen Koniks sehr viel Tarpanblut fließt. Nachdem nämlich der letzte wild lebende Tarpan beim Versuch ihn für ein Zuchtprogramm einzufangen gestorben ist, versuchten Zoologen eine Rückzüchtung mittels Islandpferden, Gotlandponys und Koniks. Das Ergebnis ist, genauso wie das aus Koniks und Mustangs entstandene Hegardtpferd, ein urtümliches Pferd, welches die gleichen Körpermerkmale wie die eines Tarpans aufweist.
Wir können also die Ursprünge der Pferde grob in zwei Kategorien einteilen: Steppe und Wald. Allerdings kenne ich nur zwei Gebiete auf unserer Erde, in denen wilde Pferde keinen Wald in ihrem Lebensraum finden. Bei beiden Gebieten handelt es sich um Gegenden, in denen verwilderte Hauspferde leben und die Pferde durch die geografische Isolierung keine Möglichkeit haben ihr Territorium zu verlassen. Denn selbst in der Heimat der Przewalski-Pferde, dem Hustai-Nationalpark gibt es dichte Wälder.
WAS MACHT DEN WALD SO WICHTIG FÜR PFERDE?
Außer zur Nahrungssuche nutzen wilde Pferde Wälder vor allem als Rückzugsort. Wir können dieses Verhalten der Wildpferde durchaus mit der Nutzung eines Offenstalls bei Hauspferden vergleichen. Es gibt drei Hauptgründe, warum wilde Pferde sich gerne in den Wald zurückziehen:
Schutz vor Sonne und Hitze
Schutz vor Regen und Schnee
Schutz vor Moskitos
Aber der Wald wird von wilden Pferden auch noch für eine andere extrem wichtige Funktion genutzt: die Flucht vor Raubtieren. Nun mag man denken, dass wenn Pferde flüchten, sie auf einer großen Ebene mit festem Boden die größten Chancen haben um zu entkommen. Das stimmt allerdings nicht. Genauso wie andere Pflanzenfresser, die auch Beutetiere sind, nutzen wilde Pferde sehr geschickt ihre anatomischen Vorteile.
WELCHE VORTEILE HABEN HUFTIERE BEI DER FLUCHT?
Auch die Thomson Gazelle in den Sümpfen Botswanas nutzt ihren einzigen Vorteil gegenüber Angreifern geschickt aus. Werden Gazellen von Löwen oder Wildhunden angegriffen, steuern sie so schnell wie möglich überschwemmte Gebiete an. Durch ihre langen schlanken Beine sind sie im Sumpf schneller als ihre Verfolger und so manch ein Löwe hat sogar schon seine Jagd bei der Konfrontation mit Wasser – typisch Katze – abgebrochen oder zumindest gezögert, sodass sich die Gazellen einen entscheidenden Vorsprung erkämpfen konnten.
Ein Löwenrudel wäre sicherlich eine kaum abzuwehrende Gefahr für wilde Pferde. Auch der Puma ist ein extrem erfolgreicher Jäger und in Nordamerika fallen ihm viele Pferde zum Opfer. Gegen die Angriffe eines anderen Beutegreifers dagegen haben unsere Wildpferde eine sehr erfolgreiche Strategie entwickelt: Für ein Wolfsrudel sind Pferde keine leichte Beute. Haben Wölfe in ihrem Territorium andere Beutetiere zur Wahl, greifen sie eher selten wilde Pferde an.
DER WALD IST EIN SCHUTZSCHILD GEGEN WÖLFE
Wolfsspuren sind, obwohl sie sehr groß sind, selten gut sichtbar.
Ja, Wölfe können sehr gut riechen (Pferde übrigens auch) und nehmen daher die Witterung von Beutetieren olfaktorisch auf. Beginnen sie allerdings zu jagen, spielt ihre visuelle Wahrnehmung eine große Rolle. Sie jagen auf Sicht. Wildpferde nutzen genau das zu ihrem Vorteil. Bei einem Angriff flüchten sie, wenn möglich durch einen Wald. Idealerweise kombinieren sie dabei noch die Sichtbarriere der Vegetation mit tiefem morastigen Boden. Ihre Verfolger verlieren so kurz die Orientierung und müssen, wenn sie bis zum Bauch im Sumpf einsinken, enorm viel Kraft aufwenden, um eine Pferdeherde zu verfolgen. Die meisten Wolfsangriffe werden bereits mit dieser Form der durchdachten Flucht vereitelt. Schafft es ein Wolfsrudel dennoch Wildpferden durch einen Wald zu folgen oder nimmt es die Spur wieder auf und stellt die Herde auf einer Lichtung, ist der Adrenalinspiegel der Pferde durch die Flucht sehr hoch. Das Risiko für die Angreifer ist jetzt enorm, denn die Herde befindet sind nun in absoluter Alarmbereitschaft und die Hengste sind extrem aggressiv. In der Regel brechen Wölfe ihren Angriff spätestens jetzt ab. Das sind sicherlich besondere Situationen und ich habe sie auch erst dreimal in freier Natur erlebt. Aber es zeigt uns, das der Wald mehr ist, als nur Schutz vorm Wetter.
In dem kurzen Video siehst du eine Herde Mustangs, die vor einem Rudel Wölfen in den Wald flüchtet. Der Leithengst bleibt als letzter auf der Lichtung, bevor auch er in den Tiefen der Wälder am Rande der Rocky Mountains verschwindet.
WIE KÖNNEN WIR DIE VORTEILE EINES WALDES IN DIE HALTUNG VON HAUSPFERDEN ÜBERTRAGEN?
Mein größter Wunsch ist, dass alle Pferde einen lichten Mischwald nutzen können. Ist das nicht möglich oder erst durch Aufforstung in ferner Zukunft zu realisieren, sollten wir drei Dinge bereitstellen:
einen geräumigen Offenstall mit mehreren großen Öffnungen
verschiedene „Fluchtwege“
ein ausgewogenes Nahrungsangebot
In dem kurzen Video siehst du eine Herde Mustangs, die vor einem Rudel Wölfen in den Wald flüchtet. Der Leithengst bleibt als letzter auf der Lichtung, bevor auch er in den Tiefen der Wälder am Rande der Rocky Mountains verschwindet.