Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ein Wildpferd einen Menschen in seine Herde einlädt. Entsprechend verunsichert war ich auch, als es mir das erste Mal passierte.
Abgesehen davon, dass die Einladung durch ein Pferd in die Herde ein riesengroßes Kompliment für uns Menschen ist, bedeutet diese Geste auch den Anfang einer vollkommen neuen Beziehung zu Pferden. Grundsätzlich gibt es drei Arten von Pferd – Mensch – Beziehungen.
BEZIEHUNG DURCH DRUCK
Bei dieser Methode hat das Pferd keine Wahl und wird gezwungen, eine Beziehung einzugehen. Diese Art der Beziehung gibt es bei Wildpferden nicht. Ein wild lebendes Pferd kann jederzeit eine soziale Interaktion durch Abwenden oder Weggehen beenden oder seine Herde ganz verlassen. Pferde vermeiden nach Möglichkeit jede Form von Druck und Stress. Viele Pferdeausbildungen machen sich dieses Meideverhalten zunutze. Der Ausbilder isoliert das Pferd von seiner Gruppe, nimmt ihm die Möglichkeit der „Kommunikation“ aus dem Weg zu gehen und baut dann Druck auf. Erst wenn das Pferd wie vom Menschen gefordert reagiert, wird der Druck weglassen.
BEZIEHUNG DURCH BESTECHUNG
Viele Menschen lehnen eine Beziehung, die auf Druck basiert, ab und suchen daher andere Möglichkeiten. Der umgekehrte Weg ist das Anlocken eines Pferdes durch Futter. Da diese Methode gut funktioniert, werden Leckerlies in der Pferdeausbildung sehr gerne verwendet. Sparsam eingesetzt können Belohnungen durch Futter positive Effekte haben.
Zu häufige Belohnungen stören aber die Kommunikation. Das größte Problem ist der ständige direkte Kontakt zum Pferdekopf. Pferde berühren sich nur sehr selten am Kopf. Außerdem besteht die Gefahr, dass die natürliche Kommunikation verloren geht und die Konditionierung dominiert. Zwischen Wildpferden finden wir diese Form der Konditionierung nicht. Futter ist in der Natur keine Belohnung, sondern ständig verfügbar und eine Selbstverständlichkeit.
DER SELBSTVERSUCH
Ich selbst habe diese beiden Varianten mit meinen eigenen Pferden ausprobiert. Je nach Pferd hatte die eine oder die andere Methode mehr oder weniger Erfolg. Das Problem bei beiden Methoden ist, dass der Impuls immer vom Menschen ausgeht. Das, was das Pferd machen soll, wird zu jedem Zeitpunkt vom Menschen, also von einer Seite bestimmt. Das läuft in einer ausgeglichenen Beziehung und auch unter Wildpferden anders.
„Eine Einladung in die Herde kann nicht erzwungen werden.“
Marc Lubetzki
FREIWILLIGE BEZIEHUNGEN
Eine Einladung in eine Herde wird nur ausgesprochen, wenn das neue Pferd die Harmonie der Herde nicht stört und sich in die Herdenstruktur einfügt. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum innerhalb einer Herde eine feste Rangordnung nicht notwendig ist. Für unsere Mensch-Pferd-Beziehung bedeutet das, dass wir, sobald wir eine Beziehung auf gegenseitiger Freiwilligkeit aufgebaut haben, den Gedanken der ständigen Kontrolle über unser Pferd zur Seite schieben können. Dann können wir je nach Situation die Führung übernehmen oder auch abgeben.
Möchte unser Pferd von sich aus keine Herde mit uns bilden, können wir noch einen anderen Weg finden, um mit ihm in Kontakt zu treten. Eine Möglichkeit ist dabei das Prinzip, auf dem Beziehungen zwischen Pferden aus verschiedenen Herden basieren. Diese können genauso freundschaftlich sein wie Beziehungen zwischen Pferden, die in einer Herde leben. Die Begegnungen verlaufen dann ritualisierter und die Kontaktaufnahme dauert etwas länger. Aber auch hier kein jedes Pferd die Kommunikation jederzeit beenden und zurück in seine Herde gehen.