Gibt es die eine standardisierte Begrüßung zwischen Pferden, die wir als Mensch übernehmen können? Scheinbar ja, denn fast alle Menschen begrüßen ihr Pferd auf eine ähnliche Art und Weise. Aber machen das Pferde genauso?
Gibt es die eine standardisierte Begrüßung zwischen Pferden, die wir als Mensch übernehmen können? Scheinbar ja, denn fast alle Menschen begrüßen ihr Pferd auf eine ähnliche Art und Weise. Aber machen das Pferde genauso?
Die meisten von uns haben gelernt, sich einem Pferd von vorne zu nähern und es anzusprechen, damit wir es nicht aus versehen überraschen. In der Nähe des Pferdes angekommen, wird das Pferd im besten Fall mit dem Handrücken behutsam an der Nase berührt. Oftmals folgen dann Streicheleinheiten oder der obligatorische Begrüßungsleckerli. Gut, wir sind uns wohl einig, das sich Pferde normalerweise kein Futter zur Begrüßung mitbringen – aber entspricht der vorausgegangene Ablauf den Gepflogenheiten von Pferden?
Ja, es gibt Pferde, die gehen frontal auf einander zu, wiehern und berühren sich anschließend mit den Nasen. Das ist allerdings, obwohl es sich um die auffälligste Form der Annäherung handelt, zugleich die am wenigsten genutzte zwischen Pferden.


Für Pferde spielt das Beziehungsverhältnis zu dem Pferd, zu dem Kontakt aufgenommen wird und die Absicht, also die darauf folgende Aktivität eine entscheidende Rolle. Ein Althengst, der nach Abwesenheit wieder zurück in seine Herde kommt, begrüßt die Altstuten anders als die Jungtiere. Ein Jungtier, welches den Anschluss an seine Gruppe kurzzeitig verloren hat, geht anders in seine Gruppe zurück wie sein Vater. Während sich ein Pferd aus einer anderen Gruppe ohne Erlaubnis einer Herde gar nicht nähern darf, kann ein Herdenhengst ohne zu zögern in eine Junggesellengruppe gehen und dort direkt Kontakt mit jedem Pferd aufnehmen. Stuten aus verschiedenen Herden nehmen wiederum keinen direkt Kontakt auf, während befreundete Hengste sich abseits ihrer Herden treffen.

Wollen wir also zu einem Pferd auf einer Weide oder einem Paddock Kontakt aufnehmen, sollte uns vorher klar sein, in welchem Beziehungsverhältnis wir zueinander stehen. Denn daraus ergibt sich der Zeitpunkt und der Ort der Kontaktaufnahme. Gut, dass wir Pferde nicht während ihrer Ruhephase stören sollen, beachten glücklicherweise die meisten Menschen. Aber hast du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, worin die Unterschiede liegen, ob du am Weidetor stehen bleibst und dein Pferd rufst oder ob du zu ihm hingehst? Das gleiche gilt übrigens räumlich verdichtet auch im Stall. Dort ist es genauso ein Unterschied, ob du an der Boxentür stehen bleibst und wartest, bis das Pferd kommt oder ob du direkt in die Box gehst.
"Viele Menschen fassen Pferde am Kopf an, ohne sich wirklich Gedanken zu machen.“
Marc Lubetzki
Welche Kommunikationskanäle nutzen Pferde?
Wir Pferdemenschen sind sehr darauf bedacht, über Körpersprache mit unseren Pferden zu kommunizieren. Dabei vergessen wir häufig, dass Pferde sich auch über Lautäußerungen (auditiv), über Berührungen (taktil) und Gerüche (olfaktorisch) verständigen. Welchen Kommunikationskanal Pferde verwenden, hängt neben ihrem Umfeld auch wieder von ihrer Beziehung zueinander, ihrem individuellen Charakter und der anschließenden Aktivität ab.
Zwei praktische Beispiele
Ein Fohlen hat den Kontakt zu seiner Mutterstute verloren. Das Fohlen wiehert, die Stute wiehert. Das Fohlen kommt zurück zur Stute. Ist das Fohlen angekommen, wird es von der Stute kaum beachtet. Als es trinken will, dreht sich die Stute weg, sodass ihr Fohlen nicht ans Euter gelangt. Futterbelohnung und Liebkosungen sind also nicht unbedingt die Erziehungsmethoden einer Mutterstute. Zwischen Mutterstute und Fohlen ist die sehr enge Beziehung zueinander die Basis für alles Weitere.

Szenario zwei: Ein Fohlen hat sich zu weit von seiner Mutterstute entfernt. Die Stute sieht ihr Fohlen und geht zu ihrem Fohlen und mit ihm zusammen wieder zurück zum Ausgangspunkt. Solange Blickkontakt besteht, verwenden die Stuten keine akustischen Signale. Sie setzen ihre Körpersprache ein, indem sie sich in das Sichtfeld ihres Fohlens bewegen. Ist das Fohlen auf dem Rückweg direkt an der Seite der Stute, wechselt diese in die taktile Kommunikation und lenkt ihr Fohlen durch Berührungen am Körper.
Der Klassiker für Pferd und Mensch
Der gängigste Grund für eine Kontaktaufnahme von einem Menschen zu einem Pferd ist, dass der Mensch möchte, dass das Pferd mit ihm woanders hingeht und dort etwas zusammen mit ihm macht. Daher müssen wir uns dafür eine Situation ansehen, in der ein Pferd zu einem einzelnen Tier aus der Herde Kontakt aufnimmt. Es sich also nicht um eine Gruppenaktivität handelt. In dem folgenden Video beschreibe ich anhand einer Szene aus dem Modul Kommunikation der Masterclass die detaillierte Abfolge der Signale.
In der Masterclass lernst du alle verschiedenen Kontaktaufnahmen, die je nach Beziehungsverhältnis, Umfeld und gewünschter Aktivität sich von der Kommunikation im Videobeispiel unterscheiden.
Verschiedene Nasenkontakte
Die Kontaktaufnahme für einen Standortwechsel, zur sozialen Fellpflege oder zum Spiel läuft jeweils anders ab. Pferde wissen also schon zu Beginn, was die Absicht ihres Gegenübers ist. Außerdem unterscheiden Pferde bei der Kontaktaufnahme, ob es sich um ein Pferd handelt, dass zu ihrer Herde gehört oder nicht.

Der intime Nasenkontakt zwischen einem Hengst und einer Stute, die zusammen in einer Herde leben, ist ausgesprochen respektvoll. Unabhängig von der Körperstellung gibt der Hengst der Stute die Möglichkeit, mit ihrem Kopf seitlich auszuweichen. Nur wenn sie an einer weiteren Interaktion interessiert ist, erwidert sie den Nasenkontakt. Diese intime Form der Kontaktaufnahme findet nicht nur zur Paarung statt, sondern ist ganzjährig zu beobachten. Dabei befinden sich beide Pferde in einer ruhigen Energie und es folgt eine gelassene gemeinsame Aktivität. Generell können wir sagen, dass jede Kommunikation aus zwei Komponenten besteht: den Signalen und der Energie.
Nasenkontakt mit mehr Energie
Ein Nasenkontakt mit einer höheren Grundenergie bedeutet für Pferde, dass eine aktivere Aktion folgen soll. Erfolgen die Berührungen an der Nase dynamischer und wechselseitig, handelt es sich um eine Spielaufforderung. Und auch bei dieser Form der Kontaktaufnahme können wir Unterschiede beobachten. Neben der Intensität der Berührungen an der Nase spielen der Rhythmus und die Pausen zwischen den Kontakten eine Rolle für den anschließenden Verlauf des Spiels zwischen den beiden Pferden. Eine Gemeinsamkeit zu den ruhigeren Berührungen an der Nase können wir dennoch beobachten: Die Pferde geben sich die Möglichkeit, um mit dem Kopf auszuweichen und haben auch die Möglichkeit, Nein zu sagen.



Nasenkontakt außerhalb der Herde
Eine Sache ist bei einem Nasenkontakt von Pferden aus verschiedenen Herden immer gleich: Sie treffen sich immer außerhalb ihrer Herde auf neutralem Boden. Diese Regel macht die Beziehung zwischen den beiden Tieren sichtbar. Selbst aus großer Entfernung können die Pferde aus ihren Herden den Beziehungsstatus zwischen den beiden Hengsten erkennen. Für die Pferde in der Natur ist das wichtig, da sich das Miteinander der Herden nach der Beziehung zwischen ihren Althengsten richtet. Stehen die beiden Pferde beim Nasenkontakt frontal zueinander, handelt es sich um eine neutrale Stellung oder eine Kontaktaufnahme zwischen zwei Pferden, die eine eher distanzierte Beziehung pflegen. Daher ist der Rat, sich einem unbekannten Pferd von vorne zu nähern, nicht falsch. Aber wir sollten für einen Nasenkontakt nicht einfach in die Sicherheitszone einer Herde oder dem Individualbereich eines Pferdes eindringen, sondern ihm vorher ein Gesprächsangebot machen und warten, bis es sich freiwillig nähert. Bei Pferden, die eine engere Freundschaft verbindet, kann der Nasenkontakt auch in einer T-Stellung erfolgen.


Neben einer vertrauteren Körperstellung können wir bei einer Begrüßung von zwei befreundeten Hengsten auch beobachten, dass die Nasen der beiden Pferde sich nicht mit Abstand voreinander befinden, sondern aneinander vorbei schieben. Diese symbolische Geste kann, indem sich die beiden Hengste in gleicher Blickrichtung aufstellen, gesteigert werden. Die Erlaubnis für das andere Pferd, dabei weit in die verletzliche eigene Intimzone einzutreten, ist ein großer Vertrauensbeweis. Die Signale und die dabei herrschende Ruhe gleichen schon fast einer Kommunikation zwischen zwei Pferden innerhalb einer Herde.

Die Berührung eines Pferdes an der Nase sollten wir nicht als Begrüßung ansehen, sondern als eine Kontaktaufnahme, bei der bereits das Signal für die anschließende gemeinsame Aktivität enthalten ist. Allerdings können wir nicht einfach die Signale zwischen Pferden, die eine sehr enge und vertraute Beziehung zueinander pflegen, nachmachen, nur weil wir uns auch eine solche Beziehung wünschen. Wir müssen erst eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen und immer die Signale und Energie einsetzen, die zum jeweiligen Pferd und der Situation passen. Dabei sollten wir neben unserem Beziehungsstatus auch das Alter, das Geschlecht und den individuellen Charakter des Pferdes berücksichtigen.